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Das Ende der Ära Klopp – Respekt vor einem unvermeidbaren Schritt

von Remo Schatz
4 min.
Ende Mai wird sich Jürgen Klopp von der ‚Gelben Wand‘ verabschieden @Maxppp

Die Verabschiedung von Publikumsliebling Dede 2011 war einer der emotionalsten Momente, die der Dortmunder Signal-Iduna-Park je gesehen hat. Wenn am 23. Mai Jürgen Klopp vor der Südtribüne steht und sich mit Tränen in den Augen von seinen Fans verabschiedet, wird dies wohl auch ohne anschließende Meisterfeier noch getoppt. Auch wenn der Schritt überraschend und für die Dortmunder Anhänger zunächst schockierend ist, ist er dennoch folgerichtig. Nichtsdestotrotz kann man nur den Hut ziehen und Klopp Respekt zollen.

Ära ist definiert durch ein Zeitalter oder eine Epoche, die unter anderem durch eine bestimmte Person in einer bestimmter Weise geprägt wurde. Wenn man beim Rücktritt von Jürgen Klopp nun vom Ende einer Ära spricht, wird man diesem bedeutungsstarken Wort wohl mehr als gerecht.

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Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel

Als der polarisierende Trainer 2008 nach Dortmund kam, fand er eine mittelmäßige bis unterklassige Bundesliga-Mannschaft ohne Gesicht vor. Auf Platz 13 beendete der BVB die Vorsaison – hinter den Revierrivalen VfL Bochum (12.) und Schalke 04 (3.). Der Abstieg wurde drei Spieltage vor Saisonende verhindert. Von europäischen Pokalabenden konnten die Borussen höchstens träumen. Die Insolvenz wurde drei Jahre zuvor bei einer denkwürdigen Eigentümerversammlung abgewandt. Erholt hatte sich der Traditionsklub von den dunkelsten Tagen der Vereinsgeschichten allerdings noch lange nicht – im Gegenteil. Vor Klopps Ankunft war zumindest sportlich gesehen der Tiefpunkt erreicht.

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Klopp hatte eine Mission: Der radikale Umbruch sollte her. Da die Kassen nach wie vor leer waren, musste auf anderer Ebene der Hebel angesetzt werden. Zum einen implementierte der mitreißende Übungsleiter ein neues taktisches System, dass später in allen europäischen Ligen mit Hochachtung quotiert und von nicht wenigen Topklubs kopiert wurde.

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Gegenpressing, Umschaltspiel und Talentsichtung

Gekennzeichnet durch ein aggressives Gegenpressing war das neue Dortmunder Spiel auf Balleroberung ausgelegt. Hatte man den Bal erkämpft, wurde blitzschnell der Gegenangriff eingeleitet. Kein langes hin und her Geschiebe in der Viererkette, keine Bälle zurück zum Torwart, sondern blitzschnelle Vorstöße in Richtung gegnerisches Tor.

Neben der taktischen Umstellung legte der Schwabe den Fokus auf junge ausbaufähige Spieler, die das neue System quasi mit der Klopp’schen Muttermilch aufsogen. Marcel Schmelzer war der erste spätere Nationalspieler, den der Übungsleiter mit Beginn seiner Tätigkeit zu den Profis beförderte.

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Ein Jahr später wurde Arbeitstier Kevin Großkreutz von Rot Weiß Ahlen zurück in den Signal-Iduna-Park geholt. Sven Bender kam für 1,5 Millionen Euro vom TSV 1860 München. Mats Hummels, der zuvor eineinhalb Jahre ausgeliehen war, wurde den Bayern für den auch heute noch unverständlichen Schnäppchenpreis von 4,2 Millionen abgeluchst. Zu Beginn der Meistersaison 2011/12 folgten Robert Lewandowski für 4,75 Millionen von Lech Posen sowie Lukasz Piszczek ablösefrei von Hertha BSC. Und in der eigenen Jugend fand Klopp in Mario Götze den wohl funkelndsten Rohdiamanten.

Wenn man sich die Entwicklung des BVB seit Beginn der Ära Klopp genauer ansieht, war die Meisterschaft 2012, das Double 2013 und das Champions League-Finale 2013 keine Überraschung – sondern folgerichtig. Klopp hatte ein revolutionäres taktisches Konzept und kaufte sich dafür billig die haargenau passenden Spieler oder formte sie selbst. So weit so gut.

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Wendepunkt: Wembley 2013

Das Finale von Wembley 2013 beschreibt eine Zäsur in der Entwicklung der Dortmunder Mannschaft. Zum einen verlor man mit Mario Götze und Robert Lewandowski – der zwar erst ein Jahr später wechselte, seine Entscheidung aber in diesem Sommer fällte – zwei wichtige Stützen der Offensive. Viel schlimmer noch wogen aber die beginnenden Abnutzungserscheinungen. Die Bundesliga-Klubs passten sich an und ließen sich vom Dortmunder Hurra-Fußball nicht mehr so leicht überrollen.

In der aktuell laufenden Krisensaison warfen viele Kritiker dem BVB-Trainer vor, sein System sei zu unflexibel und er könne sich nicht auf die Gegner einstellen. Und in der Tat, wenn man sich die Entwicklung der vergangenen Jahre genauer anschaut, hat Klopp die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die Dreierkette, die bei internationalen Spitzenvereinen mittlerweile zum Standard-Repertoire gehört, ist in Dortmund stets gescheitert. Gegen Mannschaften, die taktisch diszipliniert die Räume eng machen und blitzschnell kontern, wie in jüngster Vergangenheit Juventus Turin und Borussia Mönchengladbach, haben die schwarz-gelben Mittel versagt.

„Da muss ne Veränderungen her“

In der laufenden Saison wirkte Klopp an der Seitenlinie und bei Pressekonferenzen oft ausgelaugt sowie teilweise hilf- und ideenlos. „Nach drei Jahren hast du als Trainer die Schallplatte durch“, gab einst Trainerlegende Udo Lattek zu Protokoll. Klopp hielt sechs herausragende Jahre durch, ehe mit dem Beginn dieser Saison der Abstieg endgültige einsetzte. „Wenn man es ganz, ganz ganz ehrlich reflektiert, dann hab ich für mich festgestellt, da muss ne Veränderung her“, begründete Klopp seine Entscheidung.

Im verflixten siebten Jahr nimmt Klopp nun den Hut. Vor der Entscheidung kann man hingegen nur den Hut ziehen und dem Trainer absoluten Respekt zollen. Das Fußballgeschäft funktioniert üblicherweise anders. Nach einer Niederlagenserie werden die Trainer für gewöhnlich entlassen. Wer die gestrige Pressekonferenz gesehen hat, der weiß, dass Hans-Joachim Watzke seinen Trainer nie entlassen hätte. Drei Jahre vor Vertragsende zieht Klopp den Schlussstrich und – um es nicht zu vergessen – verzichtet auf Jahreseinkünfte von sieben Millionen Euro.

Der Schritt zeugt von unglaublicher Selbstreflexion und Verantwortungsbewusstsein. Klopp macht den Weg frei für den Umbruch und vermutlich Nachfolger Thomas Tuchel. „Ich habe immer wieder gesagt, in dem Moment, in dem ich das Gefühl habe, dass ich nicht mehr der perfekt Trainer für diesen außergewöhnlichen Verein bin, würde ich es sagen. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob ich es nicht mehr bin, kann diese Frage aber nicht eindeutig mit ‚Ja‘ beantworten“, gesteht Klopp.

Und wir werden immer Borussen sein, es gibt nie nie nie einen anderen Verein“. Wenn die Südtribüne am kommenden Samstag gegen den SC Paderborn diesen schwarz-gelben Fanschlager anstimmt, wird Klopp wohl sicher zumindest leise mitsummen.

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