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Tuchels Regeländerung: Ein Schritt in die falsche Richtung

von Matthias Rudolph
4 min.
Thomas Tuchel macht sich für mehr Einwechslungen stark @Maxppp

Thomas Tuchel fordert eine Regeländerung. Der BVB-Trainer hätte gerne die Möglichkeit, sechs Spieler pro Partie einzuwechseln. Der Vorschlag wird von einigen Kollegen unterstützt, von anderen sogar als positive Revolution eingestuft. Einen entscheidenden Punkt lässt Tuchel in seinen Überlegungen aber außer Acht.

Thomas Tuchel ist ein herausragender Trainer und ein Querdenker. Solche Menschen werden gebraucht und sind auch für den deutschen Fußball von enormer Bedeutung, um international nicht den Anschluss zu verlieren. Das Wort des 42-jährigen Fußballlehrers hat also Gewicht in Deutschland und so wird eifrig über Tuchels jüngsten Vorschlag diskutiert, die Regeln bezüglich der erlaubten Einwechslungen pro Spiel zu ändern.

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Was will Tuchel?

Der Trainer von Borussia Dortmund hätte in Zukunft gerne die Möglichkeit, doppelt so viele Spieler wie bislang einwechseln zu können: „Ich bin anstatt dreimal ein Spieler für dreimal zwei Spieler.“ Die Begründung für diesen Wunsch nach tiefgreifender Veränderung liefert Tuchel auch mit: „Weil es zum einen das Gemeinschaftsgefühl einer Mannschaft wahnsinnig verstärken würde, wenn 16 Feldspieler spielen könnten anstatt 13.“ Darüber hinaus könnten die Fans „mehr Spieler sehen“ und der Coach hätte „mehr taktische Möglichkeiten“. Dies hätte laut Tuchel „einen unglaublichen Einfluss auf das Spiel in punkto Spielgeschwindigkeit und auch Attraktivität.“ So weit, so gut.

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Fakt ist: Tuchels Überlegungen sind nachvollziehbar. Zumindest auf den ersten Blick. Mit Sicherheit würde es die Reservespieler freuen, wenn sie zum Einsatz kämen, anstatt 90 Minuten auf der Bank zu schmoren. Und auch in puncto Taktik könnten die Trainer viel stärker auf den Spielstand eingehen, wenn mehr Tauschmöglichkeiten bestünden. Dass sich beim Wechsel von über der Hälfte der Feldspieler in Hälfte zwei das Tempo erhöhen würde, ist ebenfalls naheliegend. Tuchel hat also in allen Punkten Recht – zumindest fast. Dass sich die Fans über diese Regeländerung freuen würden, davon kann man kaum ausgehen.

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Die weiteren Folgen der Regeländerung

Denken wir einen Schritt weiter. Wie würde beispielsweise ein Topklub wie Bayern München auf eine solche Veränderung der Optionen reagieren? Würde sich Taktikfuchs Carlo Ancelotti dann mit seinem aktuellen Kader zufriedengeben? Schließlich können in jeder Begegnung 16 Akteure eingesetzt werden und diese Möglichkeit würde Ancelotti sicher in der Regel auch nutzen wollen. Hätte der FC Bayern aber einige Verletzte zu beklagen, würde der 23-Mann-Kader kaum ausreichen, um genügend Alternativen auf der Bank zu haben. Vor allem nicht solche, die den hohen Ansprüchen eines internationalen Topklubs gerecht werden. Die Vergrößerung des Kaders wäre für die Bayern also unverzichtbar, denn die Konkurrenz würde genauso reagieren.

Der nächste Gedanke ist naheliegend: Wenn die Kader aller Klubs größer werden, wandern auch noch mehr Topspieler zu den großen Vereinen, da sie sich dort berechtigte Hoffnungen auf Spielzeit machen können. Klubs wie Bayern, Barça oder Real Madrid würden ihre Teams also mit weiteren Nationalspielern spicken, die den kleineren Vereinen dann wiederum fehlen. Und wenn Ancelotti dann in der Bundesliga in Hälfte zwei immer sechs frische Topkräfte bringen kann, dürfte die erste Münchner Meisterschaft ohne Punktverlust keine Utopie mehr sein. Das dürfte kaum im Interesse der Fans sein, Herr Tuchel. Ein Blick auf die Insel genügt.

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Die englische Liga feiert sich gerne als die beste der Welt und ist bei Fans weltweit beliebt. Aber warum? Der technisch und taktisch hochwertigere Fußball wird schließlich andernorts gespielt. Der Grund ist ein anderer: In der Premier League holt praktisch in jedem Jahr ein anderes Team die Meisterschaft. Nicht so wie in den anderen Topligen in Italien, Deutschland, Frankreich oder Spanien, wo es ein bis drei Topteams gibt, die das Rennen in zunehmendem Maße unter sich ausmachen. Die Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse ist es, was die Zuschauer begeistert.

Unterstützung für Tuchel

Ein Befürworter der von Tuchel vorgeschlagenen Regeländerung ist Ottmar Hitzfeld, seines Zeichens Trainerlegende und zweimaliger Champions League-Gewinner. Er sagt: „Die Intensität der Spiele nimmt zu und die Belastung der Spieler steigt ständig. Von daher ist dieser Vorschlag zu überlegen.“ Auch er hat Recht. Die Euro in Frankreich war der letzte nötige Beweis dafür, dass die Spieler physisch schon lange am Limit angekommen sind. Eine einfachere Lösung für dieses Problem wäre aber die Entschlackung des Terminplans anstatt der Erlaubnis, sechs frische Spieler pro Partie einzuwechseln. Weniger Spiele in den Knochen und auf dem Plan würden das Tempo erhöhen und die Profis entlasten.

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Gedankenspiele

Geht es um Regeländerungen, die den Fußball für Fans wieder attraktiver machen, sollte man stattdessen darüber nachdenken, wie man die Ungleichheit zwischen einigen wenigen Topklubs und dem Rest etwas verringern würde. Beispielsweise könnten die Verbände Leihgeschäfte im Fußball verbieten. Die Talente würden sich dann hinsichtlich ihres Karriereplans dreimal überlegen, ob sie in jungen Jahren schon bei den ganz großen Klubs unterschreiben. Es ist bekanntermaßen kein Einzelfall, dass eine vielversprechende Nachwuchskraft dort dann auf der Bank versauert ist und nach einem verlorenen Jahr auf Leihbasis einen Schritt zurückgehen musste. Die großen Vereine leiden darunter am wenigsten, bekommen sie die jungen Spieler doch meist zum Schnäppchenpreis. Und packt es am Ende nur einer von vielen, spart sich der Verein die Ablöse für einen Topstar und hat einen guten Deal gemacht.

Ohne Leihgeschäfte hätte die Mittelschicht der Liga länger Freude an ihren meist selbst ausgebildeten Spielern, was wiederum das Niveau dieser Teams verbessern würde. Und wenn ein Profi dann nicht mehr 18 Jahre alt und wirklich bereit ist für den nächsten Schritt, dann würde bei den kleineren Klubs auch richtig die Kasse klingeln. Wäre das nicht sinnvoll, Herr Tuchel? Im Sinne der Fans.

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