Bastian Schweinsteiger tritt ab: Der Größte seiner Generation

von Lukas Hörster
6 min.
Bastian Schweinsteiger tritt ab: Der Größte seiner Generation @Maxppp

Die Nationalmannschaftskarriere von Bastian Schweinsteiger ist beendet. Nach zwölf Jahren und 120 Einsätzen ist eines klar: Der Fußballgott ist nicht nur das Gesicht von Sieg und Niederlage, sondern auch einer über Jahre währenden Entwicklung, die im Weltmeistertitel 2014 mündete. FT wagt einen Blick auf seine großen Turniere.

An Bastian Schweinsteiger nagt merklich der Zahn der Zeit. Das Haar ergraut, der einst maschinenartige Körper etwas untersetzt, steht der eigentliche Kapitän zur Einwechslung bereit. Es läuft die 90. Minute im Auftaktspiel der deutschen Nationalmannschaft bei der EURO 2016 gegen die Ukraine. Der zuvor lange verletzte Mittelfeldchef soll mit seiner Erfahrung helfen, die 1:0 Führung über die Zeit zu bringen. Für Angreifer Mario Götze betritt Schweinsteiger im Stade Pierre-Mauroy zu Lille den Rasen. Keine zwei Minuten, einen 92-Meter-Sprint und einen sauberen Torabschluss später steht es 2:0 für Deutschland. Torschütze? Der Kapitän höchstpersönlich.

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Wie man seit heute weiß ist der anschließende Jubel das letzte einprägende Bild, das man vom 31-Jährigen im Nationalmannschaftstrikot in Erinnerung behalten wird. Kurz nachdem Gerüchte laut wurden, wonach sein neuer Trainer bei Manchester United, José Mourinho, nicht mit ihm plane, gab der von den Fans verehrte Fußballgott via Facebook seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekannt.

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In dem offenen Brief heißt es unter anderem, die Nationalmannschaft sei ihm „immer eine wertvolle Familie“ gewesen. Um genau zu sein, müsste es jedoch heißen: eine Familie, die er hauptverantwortlich großgezogen hat. Mit der nötigen Portion Talent, aber auch mit Fleiß, Eifer und einem unermüdlichen Kämpferherz durchlebte Schweinsteiger in Klub wie Nationalmannschaft Entwicklungsstufen, die ihn heute als größten deutschen Fußballer seiner Generation dastehen lassen. Einer, der maßgeblich am Wiederaufbau von der Deutschen liebsten Kind in Folge der katastrophalen Europameisterschaft 2004 beteiligt war.

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Hoffnungsträger

Am 6. Juni desselben Jahres debütierte Bastian Schweinsteiger, 19-jährig, unter Rudi Völler in der A-Nationalmannschaft. In der zweiten Hälfte des Testspiels gegen Ungarn (0:2) kam er für Andreas Hinkel ins Spiel. Ausgewählte weitere Mitspieler von damals: Oliver Kann, Thorsten Frings, Fredi Bobic oder Frank Baumann – allesamt Akteure, die man mittlerweile längst in anderen Funktionen als in jener auf dem Spielfeld kennt. Bei der Endrunde in Portugal enttäuschte das deutsche Team wie bereits erwähnt auf ganzer Linie und strich bereits nach der Vorrunde die Segel. Der junge Schweinsteiger kam in allen drei Partien zu Teileinsätzen, bei denen ihm sogar eine Torvorlage gelang. Zusammen mit seinem jahrelangen Wegbegleiter Philipp Lahm war er noch eine der positiven Überraschungen im deutschen Team.

Bereits beim Confed Cup ein Jahr später schickte der neue Trainer und Reformator Jürgen Klinsmann eine junge aber schlagkräftige Mannschaft, aus der wieder Schweinsteiger einer derjenigen war, die rauszustechen vermochten. Im Hinblick auf die anstehende Heim-WM verschafften die jungen Wilden, um den blondierten Flügelspieler, erstmals so etwas wie Vorfreude auf die Leistungen der Mannschaft beim Turnier im eigenen Land.

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Sommermärchen

Tatsächlich wurde die Weltmeisterschaft 2006 zum allseits bekannten Sommermärchen. Schweinsteiger spielte nicht sein bestes Turnier, im Spiel um Platz drei gelangen ihm jedoch zweieinhalb Tore gegen Portugal, sodass er es war, der für den versöhnlichen Ausklang des Turniers sorgte. Deutschland hatte seine Nationalmannschaft wieder ins Herz geschlossen.

Im Anschluss fiel Schweinsteiger dennoch in ein Loch. Die ersten Stimmen, wonach er aufpassen müsse, nicht als ewiges Talent zu enden, wurden laut. Bayern-Manager und Hobby-Psychologe Uli Hoeneß hielt es für angebracht, seinem Schützling „den Puderzucker aus dem Hintern“ zu klopfen. Zur EM 2008 fuhr er zwar mit, musste auf seiner Position im rechten Mittelfeld aber zunächst Clemens Fritz den Vortritt lassen.

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Im zweiten Gruppenspiel gegen Kroatien holte sich Schweinsteiger zu allem Überfluss auch noch die Rote Karte ab. Der wasserstoffblonde Sündenbock einer vom EM-Ausscheiden bedrohten Nation war gefunden. Wieder spielberechtigt und mit dem Vertrauen von Joachim Löw ausgestattet, startete Schweini ab dem Viertelfinale jedoch durch.

Wie Phönix aus der Asche

Den Sieg gegen Lieblingsgegner Portugal besorgte er beinahe im Alleingang, auch im Halbfinale gegen die Türkei netzte er ein. Nach seinem Katastrophen-Start ins Turnier war er wieder der Held, der er schon zwei Jahre zuvor geworden war. Gegen Spanien setzte es verdientermaßen die erste Endspielniederlage für Schweinsteiger. Seinem wieder zurechtgerückten Image tat dies jedoch keinen Abbruch.

Zur darauffolgenden WM in Südafrika gab es den nächsten Umbruch in der Nationalmannschaft. Arrivierte Kräfte wie Frings und Michael Ballack hatten ausgedient. Die Generation der 2009er U21-Europameister drängte ins Team. Schweinsteiger hatte 2009/10 die beste Saison seiner Karriere hingelegt. Unter Förderer Louis van Gaal mutierte er zum Strippenzieher im zentralen Mittelfeld – eine Rolle, die nun auch Löw für ihn vorsah. Hinter Philipp Lahm wurde Schweinsteiger zudem im Vorfeld des Turniers zum Vize-Kapitän bestimmt.

Eine Rolle, die er als „emotionaler Leader“, wie ihn Löw taufte, auf dem Platz zu vollster Zufriedenheit mit Leben füllte. Seine Leistungen waren derart beeindruckend, dass dem damals 25-Jährigen erstmals von mehreren Seiten der Sprung in die Weltklasse bescheinigt wurde. Aus dem flippigen Flügelspieler Schweini war der Sechser Schweinsteiger geworden. Zum Titel reichte es jedoch erneut nicht. Aber wieder war er das Gesicht einer Nationalmannschaft, die sich in die Herzen der Fans spielen konnte.

Der Tiefpunkt

2012 lief es für Schweinsteiger weniger rund. Kurz vor Turnierstart verlor er mit dem FC Bayern das berüchtigte‚ Finale Dahoam‘, scheiterte dabei selbst im Elfmeterschießen vom Punkt. Angeschlagen schleppte er sich durch die EM, an deren Ende das Halbfinal-Aus gegen Italien stand. Ein Turnier, das trotz des erneuten Erreichens der Runde der letzten vier weit weniger positiv gesehen wurde, als die übrigen in der jüngeren Vergangenheit. Deutschlands Anspruch war gewachsen. Der an Schweinsteiger sowieso.

Nach der enttäuschenden Euro kam er jedoch stärker zurück als je zuvor. 2013 errang er endlich die Champions League-Trophäe und wurde zudem Deutschlands Fußballer des Jahres. Zur WM 2014 fuhr er aber mal wieder nicht im Vollbesitz seiner Kräfte, die ersten beiden Partien erlebte er auch nur von der Bank – wenngleich er beim Unentschieden gegen Ghana ein wahren Chef-Auftritt hinlegte und dem Spiel durch beeindruckende Körpersprache und Zweikampfstärke zu einer entscheidenden Wendung verhalf.

Ab dem dritten Spieltag war Schweinsteiger wieder gesetzt, dirigierte das deutsche Spiel jedoch noch nicht. Dennoch: Seine Siegermentalität half dem Team bis ins Halbfinale, wo es zum denkwürdigen 7:1-Triumph über Gastgeber Brasilien kam. Schweinsteiger agierte dabei beinahe als Libero vor der Abwehr und koordinierte das deutsche Pressing im Stile eines Spielertrainers.

Der Gipfel

Sein Meisterwerk lieferte er aber freilich im Finale von Rio ab. Die Geschichten der letzten Minuten im Endspiel, in denen der heimliche Kapitän mehrfach getroffen wurde und immer wieder aufstand, um der Mannschaft zu dienen, werden noch häufiger erzählt werden, als sie bereits erzählt wurden. Schweinsteigers Kumpel Kevin Großkreutz stand bereits zur Einwechslung parat. Der Bayern-Star winkte ab, und brachte das 1:0 mit Cut unter dem Auge über die Zeit. Weltmeister. Die Entwicklung des deutschen Fußballs hatte unisono mit der von Bastian Schweinsteiger ihren Höhepunkt erreicht.

Natürlich lässt sich darüber streiten, ob Schweinsteiger seine internationale Karriere nicht bereits auf diesem Höhepunkt hätte beenden sollen. Jedoch konnte er damals nicht wissen, dass er die folgenden zwei Jahre mehr denn je von Verletzungen geplagt sein würde. Die EM 2016 war sein letztes großes Ziel. In seinem Statement heißt es: „Ich wollte diesen Titel unbedingt“. Auch wenn Schweinsteiger einsieht, dass er das Halbfinal-Aus gegen Frankreich „zu akzeptieren“ hat, den größten Titel im Fußball hat er gewonnen. Und noch viel wichtiger: Er hat einem Fußballland über Jahre wieder zu jenem Erfolg verholfen, den es von seiner Nationalmannschaft erwartet.

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