Atlético Madrid: Wie ein Mitläufer zum gefürchteten Topklub wurde

von Matthias Rudolph
4 min.
Diego Simeone hat einen stark besetzten Kader zur Verfügung @Maxppp

Sowohl in der Primera División als auch in der Champions League hat Atlético Madrid noch gute Chancen auf den Titel. Nicht wenige sehen die Rojiblancos im Halbfinale gegen den FC Bayern sogar als Favoriten an. Ein steiler Aufstieg, wenn man bedenkt, wo der Klub vor einigen Jahren noch stand.

Die Verantwortlichen des FC Bayern München haben keinen Hehl daraus gemacht, dass sie Atlético Madrid im Halbfinale der Königsklasse gerne aus dem Weg gegangen wären. Eine bemerkenswerte Haltung, wenn die Alternativen Real Madrid und Manchester City heißen. Vor einigen Jahren hätte sich bei Atlético wohl kaum jemand eine solche Entwicklung vorstellen können.

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Rückblick: In den Neunzigern schrieb der Klub aus dem Süden der spanischen Hauptstadt zwar auch schon jede Menge Schlagzeilen, doch waren diese meist negativer Natur. Lebemann, Skandalnudel und Präsident Jesús Gil y Gil war am Ende seiner Amtszeit angelangt, der Verein hoch verschuldet und zu allem Überfluss musste Atlético im Sommer 2000 den Gang in die Zweitklassigkeit antreten.

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Zwei Jahre später feierten die ‚Rojiblancos‘ die Rückkehr in die Primera División. Und trotz großer Unruhe auf dem Trainerstuhl gelang es, den Klub wieder in der höchsten Spielklasse Spaniens zu etablieren. Der Meistertitel oder gar internationale Ehren waren aber lange Zeit weit entfernt. Dies änderte sich kurz vor der Ankunft von Diego Simeone. Fußballlehrer Quique Sánchez Flores verabschiedete sich 2010 mit dem Gewinn der Europa League (2:1 im Finale gegen Fulham). Die Ära ‚Cholo‘ Simeone sollte die Arbeit seiner Vorgänger dann aber in den Schatten stellen. Mit einem einmaligen Gespür für Motivation, Kaderzusammenstellung und Taktik formte der Argentinier Atlético zu einem echten Gewinner-Team.

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Rumpelstilzchen an der Seitenlinie

Ständig dirigierend, antreibend und mit dem Schiedsrichten diskutierend gelingt es Simeone, die Spannung hochzuhalten. Der 45-Jährige steht ständig unter Strom und überträgt dies clever auf seine Spieler, die daraus einen unbändigen Kampfgeist auf dem Feld entwickeln. Dass Simeone dabei mitunter über das Ziel hinausschießt, verzeihen ihm die Atletí-Fans schnell.

Bestes Beispiel am vergangenen Wochenende: Das Spiel gegen den FC Málaga steht auf des Messers Schneide, als der Gegner zu einem gefährlichen Konter ansetzt. Simeone sorgt dafür, dass ein weiterer Ball auf das Spielfeld geworfen wird. Grob unsportlich, keine Frage – aber eben auch sehr erfolgreich. Der Konter verpufft, Simeone muss auf die Tribüne, Atlético gewinnt am Ende mit 1:0 und bleibt dem FC Barcelona im Titelrennen auf den Fersen. Die Drei-Spiele-Sperre in der Liga nimmt der Coach für den Mannschaftserfolg gerne in Kauf.

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Kompakt, kompakter, Atletí

Die Aktion zeigt: Simeone würde für seine Spieler durchs Feuer gehen, sämtliche Strafen auf sich nehmen – und dient als perfekter Prellbock, der Druck von der Mannschaft nimmt. In dieser Hinsicht geht Simeones Taktik seit Jahren perfekt auf. Genau wie auf dem Spielfeld. Seinem Team hat er schnell ein herausragendes Defensivkonzept eingeimpft, das auf Laufbereitschaft, Aggressivität und intelligenter Raumaufteilung basiert.

Setzte es in seiner Premierensaison noch 46 Gegentore, schrumpfte diese Zahl in den Folgejahren deutlich (31, 26, 29). Am Gipfel der Undurchlässigkeit ist Atlético in dieser Spielzeit angekommen. Erst 16 Treffer musste der aktuelle Tabellenzweite in La Liga hinnehmen. Eine Anzahl an Gegentoren, die viele spanische Vereine schon allein in den Begegnungen mit ‚Barça‘ und Real verschmerzen müssen.

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Die Mischung macht's

In die Karten spielt Simeone seit Jahren auch die überragende Transferpolitik, die allen voran auf das Konto von Sportdirektor José Luis Caminero geht. Denn die Spielidee des Übungsleiters trägt vor allem dann Früchte, wenn vorne ein Alleinunterhalter für die nötigen Tore sorgt. Dies war zunächst Radamel Falcao. Als der Kolumbianer zur AS Monaco weiterzog, sprang Diego Costa in die Bresche. Der FC Chelsea schnappte den Vollblutstürmer weg und Atlético zauberte Antoine Griezmann aus dem Hut. Und obwohl eigentlich zunächst Mario Mandzukic und dann Jackson Martínez als neuer Knipser eingeplant war, ist es der dribbelstarke Franzose, der dieser Tage für die wichtigen Tore sorgt. Flankiert wird er vom wiedererstarkten Publikumslliebling Fernando Torres.

Dass Neuzugänge wie Griezmann, Yannick Carrasco oder Eigengewächse wie Saúl Ñíguez sich ungestört zu Topspielern entwickeln können, liegt vor allem am Gerüst aus Leistungsträgern, auf das Simeone trotz der regelmäßigen Abgänge von Stars zurückgreifen kann. Kapitän Gabi, Abwehrchef Diego Godín und Koke sind es vornehmlich, die den Laden auch in stürmischen Zeiten zusammenhalten.

So turbulent wie noch Anfang des Jahrhunderts geht es bei Atlético Madrid aber seit Simeones Machtübernahme ohnehin nur noch an der Seitenlinie zu. Doch wie erwähnt steckt dahinter Methode – genau wie in etlichen anderen Bereichen auch. Und so ist es nur verständlich, warum die Bayern den ‚Colchoneros‘ am liebsten aus dem Weg gegangen wären. ‚Unbequem sein‘ lautet das Credo von Simeone und seinen Schützlingen. Der Meister von 2014 ist mit dieser Marschroute dauerhaft im Kreis der europäischen Spitzenvereine angekommen.

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