Kommentar: Lahm auf der Sechs – ein klassischer Löw

von Lukas Heimbach
4 min.
Ein Bild, das es nicht geben sollte: Khedira weicht Schweinsteiger @Maxppp

Khedira oder Schweinsteiger neben Lahm? Diese Debatte hält Deutschland derzeit in Atem. Warum nicht beide auf der Sechs? Warum spielt Lahm nicht wieder Außenverteidiger? Die Meinung der Fans zu diesen Personalien war selten so einhellig wie dieser Tage. Einzig der Bundestrainer scheint sein eigenes Süppchen zu kochen. Ein Plädoyer für die Eintracht der beiden Führungsspieler Schweinsteiger und Khedira sowie den Weltklasse-Außenverteidiger Philipp Lahm.

Siegesgewiss und mit einem gewissen Anflug von Hochmut bannt Fußball-Deutschland ungleich mehr als der Gegner Algerien dieser Tage die Diskussion um Kapitän Philipp Lahm, Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger. Für Bundestrainer Joachim Löw scheint es nur eine Frage zu geben: Spielt Schweinsteiger oder Khedira neben Lahm und Toni Kroos in der Mittelfeldzentrale? Trotz starker Leistung gegen die USA droht Schweinsteiger der Platz auf der Bank. Khedira scheint die Nase vorn zu haben, nachdem der 27-Jährige während des letzten Gruppenspiels regenerieren konnte.

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Dabei brachte der 29-jährige Bayern-Star deutlich mehr Ordnung und insbesondere Akkuratesse ins Passspiel der Nationalmannschaft. Damit soll allerdings nicht impliziert werden, Schweinsteiger müsse statt Khedira spielen. Vielmehr ist es die Löw-Frage um das Entweder-oder. Warum ist der gelernte und etatmäßige Außenverteidiger Lahm als Sechser unantastbar? Aufgrund seiner bisherigen Verdienste in der DFB-Elf auf dieser Position? Weil er bei diesem Turnier bislang überzeugte und als Dirigent den Takt im deutschen Aufbauspiel vorgibt? Nein.

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Persönliche Vorlieben hinten anstellen

So wirklich begründet hat Löw seine Entscheidung, Lahm im defensiven Mittelfeld spielen zu lassen, nie. Der 30-Jährige favorisiere die Position, heißt es. Seitdem Pep Guardiola ihn vor die Abwehr gestellt hat, scheint es egal zu sein, dass Lahm einer der weltweit fraglos besten Außenverteidiger ist. Fragwürdig ist hingegen, ob man als Kapitän einer Nationalmannschaft nicht die eigenen Interesse hinter das Wohl des Teams stellen sollte? So wie sein Stellvertreter Schweinsteiger.

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Der Mittelfeld-Stratege versucht niemals zu glänzen, sondern nur seine Mitspieler glänzen zu lassen. Er versucht nicht, persönliche Vorlieben oder Eitelkeiten durchzusetzen. In nahezu holistischer Uneigennützigkeit stellt sich der Ur-Bayer stets in den Dienst der Mannschaft. Und dennoch ist der 29-Jährige absoluter Führungsspieler. Zieht er im Mittelfeld die Fäden, macht er die Spieler um sich herum gleichzeitig besser, indem er ihnen zwangsläufig mehr Selbstvertrauen und Sicherheit verleiht, ohne ein aufgepumptes Ego nach außen zu tragen.

Khediras charakterliche Entwicklung

Auch Khedira hat sich seit seiner letzten Weltmeisterschaft – wo er quasi ins kalte Wasser geworfen wurde – in Madrid insbesondere charakterlich enorm weiterentwickelt. Der gebürtige Stuttgarter agiert wie Schweinsteiger mittlerweile als echter Führungsspieler. Er fordert Bälle und vermittelt mit seiner Körpersprache immer, dass er will, dass er heiß ist und dass er niemals aufstecken wird. Dass sich die beiden Weltstars aufgrund ihrer Charakterstärke auf dem Platz in die Quere kommen könnten, ist nahezu ausgeschlossen. Vielmehr ergänzen sich beide nicht nur aufgrund ihrer Spielstile hervorragend. Beide sind in der Lage, das Team mitzureißen. Spieler, an denen sich andere Akteure wie der zur Sensibilität neigende Mesut Özil oder der verhältnismäßig junge Mario Götze orientieren können.

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Im Umkehrschluss fehlen Lahm schlichtweg die dominante Präsenz und die Körpersprache eines echten Führungsspielers - so sehr der Defensivkünstler auch als Kapitän respektiert wird. Lahm schaffte es bislang nicht, dem deutschen Spiel seinen Stempel aufzudrücken. Vielmehr fiel der Kapitän mit einigen Fehlern im Aufbauspiel auf, die gegen Portugal fast und gegen Ghana postwendend zu einem Gegentor führten.

Ein Spieler von solch großer Erfahrung, der als Außenverteidiger – egal ob links oder rechts – unbestritten Weltklasse ist, sollte seine Egoismen hinten anstellen und notfalls höchst selbst den Bundestrainer darum bitten, ihn wieder zurück auf seine angestammte Position zu befördern. Dort hilft er dem Team weitaus mehr als auf der Sechs. Gerade vor dem Hintergrund, dass Benedikt Höwedes als Linksverteidiger maximal durchschnittlich auftritt und umstritten ist – insbesondere im Offensivspiel lahmt die linke Seite aufgrund der limitierten Offensivqualitäten des Schalke-Kapitäns.

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Das große Rätselraten bleibt aber dennoch. Warum hat Löw kein Einsehen und zieht Lahm zurück? Am besten sogar auf links, da der gelernte Innenverteidiger Jérôme Boateng auf rechts wohl seine Vorzüge hat. Zudem ist der DFB-Kapitän hinten links groß geworden und absolvierte dort mitunter herausragende Partien.

Je länger die Debatte andauert, desto mehr drängt sich einem der Verdacht auf, dass das Naturell des Bundestrainers hauptausschlaggebend ist. Es scheint nicht mehr zwangsläufig die Frage danach zu entscheiden, was letztlich die sinnvollste Lösung für die Mannschaft ist. Sich einmal vehement festgelegt zu haben, scheint den Ex-Stuttgarter zu hemmen, Fehler einzugestehen. Dass der Nationaltrainer in gewisser Weise halsstarrig ist, wurde in der Vergangenheit immer wieder aufs Neue deutlich. Da ihm seine eigensinnig wirkenden Entscheidungen am Ende jedoch häufig Recht gaben, verhallten die Kritiker letztlich schnell. Womöglich auch in diesem Fall, wenn Deutschland Weltmeister wird.

Löws Weg oder keiner

Dennoch mutet diese zwanghaft wirkende Standhaftigkeit des Bundestrainers an, als ob er es nach acht Jahren im Amt endgültig wissen wollen würde. Wenn er es dieses Mal nicht mit seiner Art und Weise schafft, dann womöglich gar nicht. Ein Schritt zurück scheint für ihn ein Zeichen von Schwäche. Entsprechend wirkt es, als stecke hinter den starren Entscheidungen eine semi-gesunde Portion Egoismus, getrieben von der Sehnsucht nach dem ersten WM-Titel und dem damit sicheren Eintrag in die Geschichtsbücher.

Schließlich verfügt der Bundestrainer über den womöglich besten Kader der DFB-Historie – zumindest seit 1972. Schafft er es nicht in absehbarer Zeit, endlich wieder einen großen Titel zu erringen, steckt der 54-Jährige womöglich auf und nimmt nach der WM freiwillig seine Hut. Auf die Meinung von gefühlten 95 Prozent der Bevölkerung zu hören, scheint für den Bundestrainer jedenfalls keine Option zu sein. Entweder sein Weg oder keiner.

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