Heidel: Deshalb holte Schalke Tedesco – und nicht Tuchel

von Lukas Heimbach - Quelle: Der Spiegel
6 min.
Ablösefreie Spieler im Fokus: Christian Heidel @Maxppp

Christian Heidel ist fest davon überzeugt, mit Domenico Tedesco die richtige Wahl getroffen zu haben. Warum, hat der S04-Sportvorstand nun ausführlich in einem Interview erläutert. Und auch, weshalb Thomas Tuchel nicht infrage kam.

Nach einer verkorksten Saison war Markus Weinzierl für Christian Heidel nicht mehr zu halten. Der Sportvorstand musste die Reißleine ziehen und den 42-jährigen Wunschkandidaten entlassen. Dabei hatte kurz nach Beendigung der Spielzeit noch fast alles darauf hingedeutet, dass Weinzierl noch eine Chance in Gelsenkirchen bekommt – Pustekuchen.

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Der neue Mann, unter dem nun alles besser werden soll, ist schlanke elf Jahre jünger als sein Vorgänger: Domenico Tedesco hieß die Lösung, die Heidel und Königsblau aus dem Hut zauberten. Im Interview mit dem ‚Spiegel‘ äußerte sich der Sportvorstand ausführlich zu der Entscheidung, die von zahlreichen Beobachtern aufgrund der vermeintlich mangelnden Erfahrung des neuen Übungsleiters kritisch beäugt wird.

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Ich habe ein Faible für Trainer, die diesen Trainerberuf von der Pike auf gelernt haben und dabei nicht unbedingt auf 300 Bundesligaspielen aufbauen können. Es gab ja diesen kleinen Disput mit Peter Neururer. Der fragt: ‚Wie kann man denn den nehmen? Der hat doch überhaupt keinen Arbeitsnachweis!‘ Ich glaube, es wird komplett unterschätzt, wie diese jungen Trainer in den Nachwuchsleistungszentren ausgebildet werden, von der U12 bis zur U19 - und zwar zusätzlich zu dieser einjährigen Fußballlehrerausbildung. Das kann man niemals in einem einjährigen Trainerlehrgang aufholen“, erläutert Heidel.

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„Junge Trainer sind innovativer“

Vor allem in puncto Innovation seien jüngere Trainer ihren Kollegen voraus, die vor allem von ihrer Erfahrung aus vergangenen Profijahren zehren: „Ehemalige Spieler neigen zu dem Gedanken, dass sie eigentlich alles über das Spiel wissen. Die jungen Trainer sind oft innovativer, arbeiten mit den besten und neusten Möglichkeiten. Wenn Sie sich mit Domenico zusammensetzen, dann kann er Ihnen zwei Stunden den Nutzen der Leistungsdiagnostik für die Trainerarbeit anschaulich vermitteln. […] Und dann gibt es ein paar wichtige Merkmale bei absoluten Toptrainern, die kann man nicht lernen: Charisma, Rhetorik, Ausstrahlung. Bei Domenico Tedesco habe ich viele dieser Eigenschaften gefunden.“

Heidel führt aus, Tedesco habe ihn schon früh überzeugen können: „Schon das erste Gespräch mit ihm – über vier oder fünf Stunden – das war einfach extrem beeindruckend. Wir haben dann zusammen am Laptop gesessen und Spiele angeguckt – und er hat mir seine Ideen erklärt.“

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Insbesondere“ Schalke-Spiele seien dabei analysiert worden, „aber auch Spiele von Aue, bei denen er mir erklärt hat, was er verändert hat. Immer wieder kam mir zwar der Gedanke: Aber der ist doch erst 31, trainiert Erzgebirge Aue und war noch nie in der Bundesliga – und wir sind Schalke. Irgendwann habe ich mir jedoch gesagt: Ist eigentlich völlig egal. Ich glaube, das ist der Trainer, den wir jetzt einfach brauchen.“

Und weiter: „Domenico hatte bei uns schon das eine oder andere unangenehme Gespräch zu führen. Er hat mit Mitgliedern des Stabs gesprochen, die drei, vier Jahre älter waren, und mit großer Ehrlichkeit und Offenheit erklärt: ‚Tut mir leid, das Gespräch hat mich nicht überzeugt. Mit dir möchte ich nicht zusammenarbeiten.‘ Was mir sehr imponiert. Da ist null Unsicherheit.“

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Bei Tuchel wäre es „eskaliert“

Zudem habe Tedesco auch Aufsichtsratschef Clemens Tönnies schnell überzeugen können: „Clemens war immer in meine Überlegungen eingeweiht, und er hat Domenico schon früh kennen gelernt. Ich brauche zwar keine Genehmigung von ihm, aber mir ist seine Meinung wichtig. Nach dem Treffen hat er gesagt: Hut ab, so ist hier noch keiner aufgetreten.“

Auch ein mögliches Engagement von Thomas Tuchel evaluierte Heidel: „Wir haben wieder Kontakt gehabt, aber so kurz nach Dortmund geht Schalke nicht. Ich habe sechs Jahre lang mit Thomas Tuchel zusammengearbeitet, und bis auf ein paar Dissonanzen bei seinem Abschied aus Mainz war das eine überragende Zusammenarbeit. Inzwischen ist alles ausgeräumt. Ich finde, dass Thomas ein überragender Trainer ist, auch wenn seine BVB-Zeit vorzeitig zu Ende ging.“

Heidel weiter: „Unsere Trainersuche lief, als in Dortmund noch die Pfeile hin und her flogen. Wenn Thomas in diesem Moment auch noch zu Schalke gegangen wäre, dann wäre das vermutlich eskaliert. Ich bezweifle, dass er hier in Ruhe hätte arbeiten können. Da wären jeden Tag neue Geschichten zu diesem Thema gemacht und veröffentlicht worden. Thomas ist nicht so ganz einfach, vielleicht ist er sogar kompliziert. Aber glauben Sie mir, alle guten Trainer sind kompliziert und vielleicht oftmals auch anstrengend.“

Die kolportierte Warnung vor der Tuchel-Anstellung aus Mainz in Richtung Dortmund sei sicher nicht von Heidel gekommen, im Gegenteil: „Ich habe überhaupt niemanden gewarnt, ich habe Aki Watzke sogar dringend empfohlen, Thomas Tuchel zu holen. Wir hatten ein langes Gespräch und ich habe ihm beschrieben, wie Thomas tickt. Ich habe wortwörtlich zu Watzke gesagt: Wenn du den besten Trainer haben willst, den du dir nach der Zeit mit Jürgen Klopp vorstellen kannst, nimm Thomas Tuchel. Wenn du weiter dort oben stehen willst, wo du im Moment stehst, dann musst du ihn verpflichten. […] Natürlich habe ich auch gesagt: Da kommt ein Trainer, der euch alles abverlangt. Das ist ein anderer Typ als Jürgen Klopp.“

Goretzka bleibt „zu 100 Prozent“

Auch Heidel muss sich nach dem ersten Jahr beim Revierklub Vorwürfe in puncto Transferpolitik gefallen lassen. Immerhin gab der 54-Jährige vergangenen Transfersommer 70 Millionen Euro an Ablöse für Neuzugänge aus.

Richtigerweise muss man sagen: Wir haben nicht 70, sondern zehn Millionen Euro investiert, weil wir nur zehn Millionen Euro mehr ausgegeben haben, als wir einnehmen konnten. Wir haben damals mit Leroy Sané den Spieler abgegeben, der ganz entscheidenden Anteil an der Qualifikation für den Europapokal hatte, und wir haben Joel Matip verloren. Wir haben Qualität abgegeben und haben versucht, neue Qualität zu holen, aber das Ergebnis hat nicht gestimmt“, verteidigt sich Heidel.

Des Weiteren kommentiert Heidel, es sei aufgrund der inflationären Preisentwicklung auf dem internationalen Markt für Schalke immer schwieriger, Hochkaräter halten zu können: „Es gibt inzwischen zu viele Klubs, die Gehälter zahlen, von denen wir Lichtjahre entfernt sind. In Deutschland sind das zwar nur die Bayern, aber auch in England, Spanien und Italien gibt es Konkurrenten, mit denen wir nicht mithalten können. Schauen Sie auf Sead Kolasinac, der an Schalke hängt und wirklich gerungen hat, bevor er zum FC Arsenal gewechselt ist. Der hat sich grandios verhalten, aber irgendwann musste ich ihm sagen: Seo, was sollen wir machen? Der kriegt für einen Vierjahresvertrag den Jahresetat von 50 Prozent der Bundesligisten. Was sollen wir denn da machen?

Dennoch sei er überzeugt, dass Schlüsselspieler Leon Goretzka kommende Saison noch Königsblauer ist: „Leon wird zu einhundert Prozent in der nächsten Saison auf Schalke spielen, da kann kommen, was will. Wir wollen dahin zurück, wo Schalke hingehört, dann kann ich nicht den besten Mann abgeben, den ich nicht ersetzen kann. Wenn wir unsere Ziele nicht erreichen, verlieren wir mehr Geld, als wir mit Leon ein Jahr vor Vertragsende einnehmen könnten. Denn es kommt ja keiner und gibt mir 50 Millionen Euro für einen Spieler, der noch ein Jahr Vertrag hat. […] Ich möchte da nicht für Leon sprechen. Aber er ist sehr bodenständig. Er identifiziert sich ungemein mit Schalke. Es ist ihm auch wichtig, dass wir die Saison korrigieren.“

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