Die kleine Erbse in der Bundesliga: Porträt eines Fußball-Idols
Als Roger Schmidt den versammelten Journalisten seinen jüngsten Neuzugang präsentierte, bekam er das Grinsen nicht aus dem Gesicht. Denn neben ihm saß der Spieler, den die Fußballwelt als Chicharito kennengelernt hat. Der Mexikaner unterschrieb am letzten Tag des Transferfensters bis 2018 bei der Werkself. FussballTransfers wirft einen Blick auf den Spieler, der sich anschickt, die Bundesliga im Sturm zu erobern.

Javier Hernández Balcázar hat den Fußball im Blut. Schon sein Großvater schnürte zwischen 1948 und 1958 die Schuhe für Deportivo Guadalajara. Sein Vater Javiér Hernández schaffte es als Stürmer bis in die mexikanische Nationalmannschaft. Ihm verdankt Chicharito auch seinen Spitznamen. Aufgrund seiner auffallend grünen Augen nannte man Hernández senior zu seiner Zeit Chicharo (die Erbse). Als sein Sohn geboren wurde, war schnell klar, welchen Namen der Junior tragen würde: Chicharito (die kleine Erbse).
Zu dieser Zeit ahnte noch niemand, welchen Weg die kleine Erbse einmal einschlagen würde. Es heißt, dass sein eigener Vater nicht daran geglaubt hat, dass der schmächtige Junge aus Guadalajara es zum Fußballprofi schaffen würde. Den Zweifeln zum Trotz spielte er bereits mit neun Jahren in der Jugendabteilung des ortsansässigen Erstligisten Deportivo Gudalajara. Mit 15 unterschrieb er seinen ersten Profivertrag und kämpfte sich über die Reserve in die erste Mannschaft.
Der internationale Durchbruch
Internationale Aufmerksamkeit erfuhr Hernández erstmals in der Saison 2009/2010. Zunächst ließ der dynamische Stürmer in der mexikanischen Liga aufhorchen. In 28 Spielen erzielte er 21 Tore. Der nationale Erfolg führte ihn auf geradem Weg zur Weltmeisterschaft in Südafrika. Für ‚El Tri‘ traf er zweimal, ehe man im Achtelfinale an Argentinien scheiterte. Seine Leistungen reichten aus, um das Interesse der großen europäischen Vereine auf sich zu ziehen. Schlussendlich entschied sich Chicharito für einen Wechsel zu Manchester United. 7,5 Millionen Euro zahlte der englische Rekordmeister für den Torjäger.
Schnell erwies sich der Mexikaner als wahres Schnäppchen. In seiner Debütsaison für die ‚Red Devils‘ brachte er es auf 20 Saisontore. Gesetzt war Chicharito jedoch nicht. Das sollte sich auch in den kommenden Jahren nicht ändern. Zwar machte er regelmäßig seine Tore, der ganz große Durchbruch blieb ihm dennoch verwehrt. Spätestens mit Beginn der Saison 2014/2015 glaubte niemand in Manchester mehr daran, dass dieser noch kommen würde.
Die Verantwortlichen liehen den damals 26-Jährigen zu Real Madrid aus. Doch auch bei den ‚Königlichen‘ saß Chicharito oftmals nur auf der Bank. An den gesetzten Offensivkräften Cristiano Ronaldo, Gareth Bale und Karim Benzema gab es kein Vorbeikommen. Dennoch etablierte sich Hernández als wichtiger Teil des Teams. Trotz nur seltener Startelf-Einsätze brachte er es auf neun Tore und neun Vorlagen. Um ein dauerhafter Bestandteil des ‚Weißen Balletts‘ zu werden, war das jedoch zu wenig. Real ließ die Ausstiegsklausel über 20 Millionen Euro verstreichen.
Ein Star für die Bundesliga
Zurück bei United fand sich Chicharito auf dem Abstellgleis wieder. Statt auf den Mexikaner zu bauen, entschied sich die Sportliche Leitung um Louis van Gaal für den Weg des Geldes und investierte schwindelerregende Summen für neue Spieler. Daraus schlug Bayer Leverkusen Kapital. Für zwölf Millionen Euro sicherte sich die ‚Werkself‘ die Dienste des Stürmers – im Vergleich zur noch vor kurzer Zeit gültigen 20 Millionen-Klausel ein wahres Schnäppchen.
Auch wenn es für die absolute Weltspitze nicht reicht, stellt Chicharito eine echte Verstärkung für einen ambitionierten Bundesligisten wie Bayer Leverkusen dar. Dass sich dem auch Trainer Roger Schmidt bewusst ist, verrät dessen Dauergrinsen auf der offiziellen Pressekonferenz zur Vorstellung des Spielers. Hernández hat über Jahre bewiesen, dass er weiß, wo das Tor steht. Zudem ist er dynamisch, technisch versiert und kann auch seine Mitspieler in Szene setzen.
Transfer mit Signalwirkung
Diese Qualitäten bieten dem Taktiker Schmidt zahlreiche neue Möglichkeiten. Zudem sorgt Chicharito für einen der härtesten Konkurrenzkämpfe der Liga. Im Sturm stehen neben dem nun 27-Jährigen auch Stefan Kießling und Admir Mehmedi zur Verfügung. Der Schweizer könnte jedoch auch auf dem Flügel spielen. Dort tummeln sich allerdings Karim Bellarabi, Neuzugang Kevin Kampl und Julian Brandt. Zudem kam dort auch Hakan Calhanoglu schon zum Einsatz. Durch den Chicharito-Transfer kann der Deutsch-Türke nicht mehr auf seiner angestammten Position als hängende Spitze spielen. Gut möglich, dass der Freistoßkünstler nun häufiger auf der Sechs auflaufen wird. Hierbei würde er das offensive Pendant von einem der Defensivspezialisten Lars Bender und Christoph Kramer werden.
Hernández ist für Schmidt somit ein wahrer Segen. Doch nicht nur sportlich ist der Mexikaner ein Gewinn. Der Transfer geht mit einer gewissen Signalwirkung einher. Bisher war Bayer Leverkusen hauptsächlich als Ausbildungsverein bekannt. Die Devise war, junge Spieler vergleichsweise kostengünstig zu verpflichten und dann für viel Geld wieder abzugeben. In dieser Transferperiode ist die ‚Werkself‘ von dieser Philosophie abgewichen. Mit Chicharito kommt ein fertiger Spieler im besten Fußballeralter unters Bayerkreuz. Gleiches lässt sich von Charles Aránguiz sagen. Doch der Chilene fällt mit einem Achillessehnenriss lange aus.
Leverkusen setzt mit Chicharito also ein klares Zeichen. Der Verein möchte oben angreifen. Anders als einige Konkurrenten aus der Bundesliga überzeugte die ‚Werkself‘ ihren Neuzugang nicht mit dem großen Geld, sondern mit geschickten Verhandlungen. „Es war nicht schwierig, mich für den Klub zu entscheiden. Die Verantwortlichen waren sehr geduldig. Sie haben mir von Beginn an das Gefühl gegeben, dass man mich will und dass ich wichtig für die Mannschaft bin. Ich möchte mich wieder wichtig fühlen und wieder glücklich sein“, verrät der 27-Jährige auf einer Pressekonferenz.
Chicharito als Marketing-Instrument
Auch in anderen Bereichen ist der Transfer eine Bereicherung für Bayer 04. Im beschaulichen Leverkusen kann man sich in der Regel nicht über zu viel mediale Aufmerksamkeit beklagen. Chicharito könnte das ändern. In den sozialen Netzwerken folgen über acht Millionen Menschen dem Mexikaner. In Mittel- und Südamerika ist der Stürmer ein Idol. Die jüngsten Zahlen belegen das. Laut ‚kicker‘ wurde die offizielle Verkündung des Transfers via Twitter innerhalb kurzer Zeit 15.000 Mal retweetet. Auf Facebook gab es über 50.000 Likes. Der Fanshop der ‚Werkself‘ litt tagelang unter Servereinbrüchen, da zahlreiche Fans das Trikot ihres Idols kaufen wollten.
Für die Rheinländer sind das Dimensionen, die noch nicht einmal 2012 bei der Verpflichtung von Michael Ballack erreicht wurden. Sportlich gesehen brachte die Rückkehr des verlorenen Sohnes keinen großen Mehrwert. Bei Bayer ist man sich sicher, dass Chicharito nicht Ballacks Schicksal teilen wird. „Er ist ein Stürmer, der sehr viel für die Mannschaft arbeitet, mit guten Laufwegen, viel Tiefgang, der im Strafraum schnell seine Position findet. Er macht uns schwerer ausrechenbar", schwärmt Schmidt. Kein Wunder – Chicharito hat den Fußball schließlich im Blut.
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